Unser vergangenes Konzert
2024 | GIOACHINO ROSSINI: PETITE MESSE SOLENNELLE
Sa 09. und So 10. November 2024, Stadtkirche Biel
Charlotte Müller Perrier, Sopran | Barbara Erni, Alt |
Michał Prószyński, Tenor | Wolf Latzel, Bass
Alexander Ruef, Piano | Nina Wirz, Harmonium
Chor Ipsach
Leitung Mona Spägele
Zwischen Salon und Paradies
Autor: Meinrad Walter
Rossini erging es gegen Ende seines Lebens ähnlich wie Johann Sebastian Bach. Beide wollten nicht sterben, ohne eine Messe komponiert zu haben! Bach vernachlässigt dafür bisweilen seine Leipziger Amtsaufgaben. Rossini hat sich schon längst an das Privatisieren gewöhnt. 35 Jahre nach seiner letzten Oper «Guillaume Tell» widmet sich der gesundheitlich Angeschlagene in Paris vornehmlich kulinarischen Themen – mit schmackhaften Variationen. Daneben entstehen etwa 150 Spätwerke, die er liebevoll die «Sünden meines Alters» nennt.
Nachdem er die Idee einer lateinischen Messe wohl schon länger mit sich herumgetragen hat, kommt der Impuls zur Vollendung, wie so oft, als konkreter Auftrag. Das wohlhabende adlige Pariser Ehepaar Pillet-Will bittet um Musik zur Weihe der Privatkapelle in ihrem neuen Stadtpalais in der Rue de Moncey. Die Uraufführung im Salon am 14. März 1864 erklärt die kleine Besetzung: Vokalsolisten und kleiner Chor sowie zwei Klaviere und Harmonium. Wie hat man sich die Weihe der privaten Hauskapelle damals vorzustellen? Während der konzertanten Aufführung im Salon könnte ein Priester mit einem Ministranten zur Kapelle geschritten sein. Für eine solche Benediktion braucht er kaum mehr als Weihwasser und ein Gebet. Das «Amen» spricht der Ministrant stellvertretend für das Gottesvolk. Die beiden fulminanten «Amen»-Fugen am Schluss der Sätze Gloria und Credo dürfen das gleichsam zusätzlich «bekrönen». Musikalisch sind diese Fugen ein später und opernhafter Nachklang der Bach’schen Fugenkunst, die Rossini studiert, wenn gelegentlich mit der Post ein neuer Band der Bach-Gesamtausgabe eintraf, die er abonniert hat.
Erst später hat Rossini seine keineswegs kleine «Petite Messe» orchestriert. Um Schlimmeres zu verhindern! Findet man diese Meinrad Walter Messe, so schreibt er, eines Tages in meinem Nachlass, «so kommt Herr Sax mit seinen Saxophonen oder Herr Berlioz mit anderen Riesen des modernen Orchesters, wollen damit meine Messe instrumentieren und schlagen mir meine paar Singstimmen tot, …».
Der Musikschriftsteller August Wilhelm Ambros nennt das Werk eine «Messe salonelle», was den opernhaften «Ton» sehr gut trifft. Aber es schwingt noch ein zweiter «Ort» mit: das Paradies. Rossinis Nachwort in der Originalpartitur ist ein veritables Gebet: «Lieber Gott – voilà, da ist die arme kleine Messe beendet. Ist es wirklich heilige Musik (musique sacrée), die ich gemacht habe oder am Ende gar vermaledeite Musik (sacrée musique)? Ich bin für die komische Oper geboren, du weißt es wohl! Wenig Kenntnisse, ein wenig Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies. G. Rossini – Passy 1863.»
Augenzwinkernd erinnert der Komponist den lieben Gott daran, dass die «Herrlichkeit des Paradieses» Jahrzehnte zuvor ja schon einmal sein Thema gewesen war, nämlich im letzten Satz des «Stabat Mater». Die Messfeier wiederum, mitsamt ihrer «Tischmusik» des komponierten Ordinarium missae, ist nichts weniger als eine Resonanz dessen, was beim Letzten Abendmahl geschehen ist, und zugleich ein Vorgeschmack des ewigen Mahles im himmlischparadiesischen Thronsaal. Dass jedoch ein Komponist die zwölf benötigten Sänger seiner Messkomposition mit den Aposteln vergleicht, scheint durchaus kühn. Rossini spinnt seinen Gedanken sogar noch weiter mit der Frage, ob es in dieser Messe vielleicht auch einen Judas gibt, der falsch singt. Im köstlich-gebethaften Zwiegespräch mit dem lieben Gott bekennt er: «Herr, beruhige dich, ich versichere, bei meinem Mahl wird es keinen Judas geben, und die Meinen werden richtig und con amore dein Lob und diese kleine Komposition singen, die leider die letzte Todsünde meines Alter ist.»
Rossini reizt die Integration verschiedener Stile. Wie retrospektiv das «Christe eleison» der Messe, noch dazu a cappella gesungen, daherkommt, fiel schon immer auf. Erst spät jedoch hat man entdeckt, dass diese Passage gar nicht von Rossini stammt. Er hat hier das „Et incarnatus est“ aus einer Messe des mit ihm befreundeten Komponisten Louis Niedermeyer notengetreu kopiert und mit den Worten «Christe eleison» umtextiert. Im Gegensatz dazu ist das Agnus Dei der «kleinen Messe» vom ersten Takt an große Oper! Der Schluss ist ein großer Aufschrei um Frieden: «Dona nobis pacem!»
Biografisch bleibt noch anzumerken, dass er sich einer Initiative angeschlossen hat, um an höchster Stelle eine Erlaubnis für den Gesang von Frauen in der katholischen Liturgie zu erwirken. Im Salon war man freier, aber in der Kirche hätte seine Messe mit Knaben- und Männerstimmen erklingen müssen. Als Antwort des Papstes erhielt er nur ein Andachtsbild. Sein Kommentar: «Die arme Kirchenmusik!!! ». Dass das im Jahr 1903 letztmalig eingeschärfte Verbot von Sängerinnen letztlich durch konsequente und (fast) weltweite Nichtbeachtung außer Kraft trat, ist ein kirchenrechtlich ausdrücklich vorgesehener Vorgang. Rossini könnte das posthum ein Lächeln abgerungen haben.
© 2024 Meinrad Walter